Wenn die Beziehung gemäss Drehbuch ablaufen soll

Frau L. meldet sich telefonisch für eine Paartherapie an. Bereits in den ersten Sätzen erwähnt sie, dass es ihr darum gehe, ihrem Mann aufzuzeigen, wie er sein Verhalten zu verändern habe. (Spürbar gemäss ihrem Drehbuch) Trotz meiner Skepsis ob dieser Ansage, vereinbart Frau L. einen Termin für sich und ihren Mann.

Eine Woche später begrüsse ich ein deutlich jüngeres Paar, als ich zunächst erwartet hatte. Beide sind stark in ihr Berufsleben eingebunden. Das Paar hat zwei kleine Kinder.

Paar kommuniziert nicht über Sichtweisen, Wünsche, Bedürfnisse

Frau L. schildert, dass sie schon immer gewusst habe, wie ihre Beziehung auszusehen habe: Wo sie gemeinsam wohnen werden, wie viele Kinder sie haben sollten, wie die Erziehung der Kinder zu sein hatte. Kurzum Frau L. hat alles im Griff. Alles ist vorausschauend geplant. Eine unglaublich energische und tatkräftige Frau.Sie hat  das Drehbuch der Beziehung in ihren Händen und fühlt sich gleichzeitig einsam in dieser Beziehung.

Wo nicht kommuniziert wird macht sich Einsamkeit breit

Herr L. hört den Ausführungen seiner Frau scheinbar emotionslos zu. Allerdings sagt seine Körpersprache etwas anderes. Je länger er seiner Frau zuhört, desto mehr wendet er sich von ihr ab. Bis er beinahe aus dem Stuhl kippt. Als ich ihn auf seine Körperhaltung anspreche, wiegelt er ab: Er leide lediglich unter Rückenschmerzen. Da ich aber darauf trainiert bin, auch auf die Körpersprache zu achten, beharre ich auf meiner Frage.

Da bricht es aus Herrn L. heraus: Er halte die Beziehung zu seiner Frau nicht mehr aus! Er fühle sich eingesperrt in einem Haus, das fremd wirke, weil sogar die Einrichtung nach den vorausschauenden Vorstellungen von Frau L. ausgesucht wurde. Er fühle sich seinen eigenen Kindern gegenüber zunehmend gehemmt, weil sein Verhalten von seiner Frau kritisiert werden könnte. Der Ausbruch hält beinahe zwanzig Minuten lang an. Frau L. hört mit versteinertem Gesicht zu. Herr L. formuliert in seinen eigenen Worten das Bedürfnis nach Mitgestaltung des gemeinsamen Lebens.

Es wird offensichtlich, dass dieser Mann zu lange geschwiegen hat. Ein direkter Einstieg in eine Paartherapie erachte ich als zur Zeit nicht sinnvoll und schlage dem Mann eine Einzeltherapie vor. Zu meiner Überraschung willigt er sofort ein. Nach einige Einzelgesprächen fühlt er sich für eine gemeinsame Therapie gestärkt. Soll sich mit seiner Frau darüber unterhalten.

Kurze Zeit später meldet sich Frau L. Sie beide würden weiterhin gerne als Paar in die Therapie kommen. Das Erstgespräch habe bei beiden viel ausgelöst. Bei Paar L. waren viele Sitzungen nötig, damit sie den Alltag wieder als Paar zu gestalten wussten. Herr L. musste lernen, sich mehr Raum zu nehmen, seine Ansichten und Bedürfnisse im Rahmen der Partnerschaft klar und deutlich zu formulieren. Frau L. konnte erkennen, dass sie viel entspannter leben kann und auch durch ihren Mann entlastet wird, je mehr sie sich von einem gedanklichen Drehbuch zu lösen vermag. Gemeinsam haben sie sich mehr Nähe zueinander erarbeitet.